Vor ein paar Wochen traf ich, wie es der Zufall so will, eine Dame, nennen wir sie Sabine, im ICE von Würzburg nach Hamburg. Ich hatte meinen üblichen Stammplatz am 4er Tisch der ersten Klasse und begann mich auszubreiten. Ich nutze den Zug gerne als mein zweites Büro.
Mir gegenüber saß also Sabine. Nach dem Papierwust neben ihrem Notebook zu urteilen, war sie schon seit München im Zug. Wir lächelten uns kurz an und ließen das üblichen "Guten Morgen" folgen. Dann folgt das klassische Business-Ritual, Notebook auf den Tisch, aufklappen und loslegen. Sabine lass den Aufkleber auf meinem Notebook „Karriere, nichts für Anfänger!!!“ und schmunzelte mich erneut über unsere Notebooks hinweg an und fragte schließlich, wie sieht denn die Karriere für Profis aus?
Wir waren also im Gespräch. Sabine, Ende 20, sehr gut ausgebildet, sehr eloquent in der Gesprächsführung und ich der Coach. Sie hatte die ersten vier Jahre Berufspraxis in einem großen bayrischen Konzern mit einem Weiß-Blauen Logo absolviert. Meine Antwort in solchen Fällen ist oft, kommt darauf an! Ich wollte mehr wissen und fragte sie, welchen Karriereweg sie denn eingeschlagen habe und schon waren wir bei den klassischen Stereotypen der Laufbahnplanung. Sie will Führungskraft werden und ist gerade auf dem Weg nach Hamburg für ein Vorstellungsgespräch als Head of Online Marketing für einen großen Onlinehändler. Sie erzählte mir, was sie beruflich bis jetzt alles gemacht hatte und welche Stationen sie bereits durchlaufen hatte. Wir kamen sehr schnell auf die Herausforderungen zusprechen, die ihr potentiell neuer Job mit sich bringen würde. Man merkte ihr den Respekt vor den Herausforderungen deutlich an. Ich hörte ihr eine ganze Weile zu und bekam zunehmend den Eindruck, dass sie wirklich Karriere machen möchte. Allerdings viel mir bei ihren Erzählungen auf, dass sie immer wieder Themen beschrieb, die ihr wichtig sind. Jedoch bildeten die Kompetenzen, Fähigkeiten und Leidenschaften die Sabine beschrieb, nicht unbedingt den perfekten Match für eine Führungskarriere. Ich stellte mir die Frage will sie wirklich eine Führungskarriere einschlagen?
In meiner forschen Art sagte ich ihr dann schließlich, ich glaube nicht, dass Sie wirklich eine Führungskarriere anstreben. Sabine schaute mich verdutzt an und fragte wie ich darauf käme.
Ihre Augen leuchten, wenn Sie von Kampagnen sprechen. Ihre Stimme wird emotional, wenn Sie über regelmäßige neue Projekte und Herausforderungen sprechen. Ihre Körpersprache wird offen und dynamisch, wenn Sie über fachliche Marketingthemen sprechen. Immer dann, wenn Sie über Kundenkommunikation sprechen merkt man Ihre Leidenschaft. Sie haben nicht ein einziges mal über Führung, Strukturen, Organisationen oder Teams gesprochen.
Sie haben recht, ich denke schon eine ganze Weile nach, was ich wirklich will aber eine Führungsposition bringt nun mal so viele Vorteile mit sich. Außerdem gibt es ja so gut wie keine Optionen. Mein Herz schlägt für die Projektarbeit. Wenn ich mich auf Projektleiterstellen bewerbe, dann komme ich aus dem Thema nicht mehr heraus und kann meine Karriere abschreiben, war ihre Antwort.
Sabine ist bei weitem nicht die einzige Person, die zurecht die klassische Führungskarriere in Frage stellt. Für ein zukunfts- und wettbewerbsfähiges Deutschland, benötigen wir optionale Entwicklungspfade für differenzierte Karrieren, um die folgenden Aufgabenbereiche optimal zu steuern:
- Mitarbeiter
- Projekte
- Produkte und Dienstleistungen
- Kunden
- Stabsfunktion
Moderne Karrieren folgen anderen Gesetzen. Horizontale-, Vertikale-, Teilzeit-Karrieren und Job-Rotation-Modelle müssen möglich sein. Die Integration von Spezialisten in die neuen Karrierewege, bei gleichzeitiger Anerkennung und Wertschätzung dieser Karrierewege, zeichnet ein Unternehmen mit moderner Personalstrategie aus. Die Zwänge unserer kulturellen Rahmenparameter, die Sozialisierung unserer Gesellschaft und die ungeprüfte Übernahme in die Unternehmenskulturen weisen nur die Führungskarriere als erstrebenswert aus. Nur diese bietet angeblich den hohen gesellschaftlichen Status, die monetären Möglichkeiten oder weitere Statussymbole wie Dienstfahrzeuge oder Eckbüros.
Gleichzeitig klagen die Unternehmen über den angeblichen Fachkräftemangel und das sie keine geeigneten Mitarbeiter für die Spezialisten- und Projektleiterstellen finden. Der Fachkräftemangel ist ein hausgemachtes Problem und es kann niemanden verwundern, wenn die Unternehmen weiterhin, die für ihre Potentialmitarbeiter, attraktive Karrierewege ignorieren.
Wollen die deutschen Mittelstandsunternehmen im internationalen Wettbewerb bestehen, so müssen zuerst die Unternehmensleitungen umdenken.
Viele Personalabteilungen würden gerne Systeme für ein mehrdimensionales Karrieresystem einführen. Diese müssen zum Selbstverständnis der aktuellen Personalstrategie werden. Leider werden die Personalabteilungen zu häufig durch die Kurzsichtigkeit der Unternehmensleitungen ausgebremst.
Die Ausreden sind mannigfaltig. Sie sind aber selten durchdacht oder wirklich nachvollziehbar. Der schwarze Peter wird vorschnell auf die Kostenstrukturen geschoben. Jeder Unternehmer lernt sehr früh, dass Investitionen erstmal Kosten verursachen, später liefern sie einen ROI. So ist es auch mit der Unternehmensattraktivität und einer nachhaltigen Personalstrategie, sie kosten Geld. Richtig gemacht bringen diese Investitionen jedoch einen außerordentlichen ROI. Ein weiteres Schauermärchen höre ich von Mittelstandsunternehmensleitungen fast täglich. Die Großkonzerne schnappen uns die besten Talente weg. Ja stimmt, leider vergisst der Mittelstand dabei zu gerne, dass man versäumt hat, rechtzeitig attraktive Personalpolitik zu betreiben.
Das eigene Versäumnis nun anderen vorzuwerfen, zeugt für mich von Charakterschwäche.
Wenn der deutsche Mittelstand auch in Zukunft erfolgreich sein will, dann muss er endlich aufwachen. Budgets umschichten und in moderne Personalstrategien investieren. Und damit ist nicht gemeint, dass nächste tolle HR-Softwarepaket zu kaufen, dass ist das Pflichtprogramm. Machen Sie Ihr Unternehmen attraktiv, Sie benötigen clevere und einzigartige Personalarbeit am Mitarbeiter für den Mitarbeiter.
Ihr Stefan Kozole
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